05  Hexenverbrennung

im Hammrich vor Bollinghausen

mitgeteilt von Berend Schröder, Leer                      Stand 01. Januar 2009

 

Eine Spurensuche in alten Unterlagen brachte neue Erkenntnisse

zu der von dem ref. Pastor und Stadtchronisten Wessel Onken

für das Jahr 1590 vermuteten Hexenverbrennung

in Heisfelde / Bollinghausen[1].

 

   In geschichtlicher Hinsicht endet um etwa 1600 das Mittelalter und es beginnt die sog. Neuzeit. Christoph Columbus hatte das vermeintliche Amerika entdeckt, die Erde wurde dank Kopernikus als sich bewegender Planet angesehen, mit Gutenberg begann die Buchdruckerkunst, die zur Aufklärung beitrug. Und nicht zuletzt die Reformation formte die Menschen. Man setzte sich auf vielen Ebenen mit neuen Ideen und Lebensanschauungen auseinander.

 

 Und doch geschah in dieser nach Aufklärung strebenden Zeit viel Schreckliches. Vom Ende des 15. bis weit in das 18. Jahrhundert hinein war beispielsweise die Hexenverfolgung, einhergehend mit Folter und Scheiterhaufen, weit verbreitet. Man kennt keine genauen Zahlen, spricht aber von 40.000 bis 90.000 öffentlich nach Recht und Gesetz Hingerichteten in Europa.[2]

 

Zu den Gebieten mit weniger Hexenopfern zählt zwar Ostfriesland. Aber auch hier wurden zwischen 1542 und 1665 etwa 115 Menschen, zu 90% Frauen, wegen angeblicher Hexerei hingerichtet bzw. verbrannt.[3]

                                                                

Hexenverbrennung in Ostfriesland

Einige Beispiele aus dem 16. Jahrhundert sollen die Situation in Ostfriesland verdeutlichen, wo im Jahr 1590, rund 60 Jahre nach der Reformation, noch 31 sog. Hexen verbrannt wurden. In Dornum wurde 1665 die letzte sog. Hexe in Ostfriesland hingerichtet.[4]

 

Hexen und ihre Zeit

Im ausgehenden Mittelalter bis in die Neuzeit hinein waren fast alle Menschen, auch die Gebildeten und Gelehrten, vom Vorhandensein der Hexen und der Rechtmäßigkeit ihrer Bestrafung überzeugt. Die Kirche hatte daran einen entscheidenden Anteil. Schon 1432 n.Chr. war beispielsweise bereits Johanna von Orleans von einem geistlichen Gericht als Hexe verurteilt und verbrannt worden. Auch wenn 1456 das Urteil nachträglich aufgehoben  und sie 1920 heilig gesprochen wurde. Der Hexenwahn, zwar von katholischen Priestern begründet, kannte keine Religionsgrenzen. Selbst Luther verkündete, Hexen sollten auch dann verbrannt werden, wenn sie keinen Schaden anrichten, und zwar nur deswegen, weil sie mit dem Teufel paktieren. Auch Calvin sagte: „Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen.“ Folter und Scheiterhaufen galten in allen Strafrechtsordnungen als rechtmäßige Mittel und Strafe.[5]

 

Eggerik Beninga, der Hexenrichter

 Der erste Gechichtsschreiber Ostfrieslands, Eggerik Beninga, dem wir durch seine „Chronica der Fresen“ wertvolle Informationen über das Mittelalter in Ostfriesland verdanken, war unmittelbar mit der Hexenverfolgung konfrontiert, ja: Entscheidend mitbeteiligt. Der Häuptling von Grimmersum, Jarsum und Widdelswehr war Drost in Leerort - später Probst zu Weener und Rat der Gräfin Anna. Also ein hochangesehener gebildeter Mann, als Probst auch geistlicher Würdenträger. Aber eben auch Richter des großen Hexenprozesses in Aurich im Jahr 1543, bei der er als Vertreter der Gräfin Anna den Vorsitz führte. Der ansonsten nüchtern und praktisch denkende Beninga lebte in seiner mittelalterlichen Welt, glaubte an den Teufel als an den Geist der Verführung und des Verderbens, an Vorspuk und ähnliche Dinge, die nach weit verbreiteter Ansicht der Teufel arrangierte. Hexen waren in seinen Augen todeswürdige Verbrecher.[6] [7]

 

 Der Hexenprozess in Aurich

 So berichtet Beninga dann auch voll Überzeugung in seiner Chronica, dass 1543 n.Chr.  zu Riepe viele Hexen gefunden seien, die sich  dem Teufel verschrieben hätten. Die meisten bekannten das schon ohne Folter. Die anderen wurden einer „peinlichen Befragung“ (Befragung unter Pein, also mit Hilfe der Folter) unterzogen. Einige wurden bis zu fünf Mal verhört und gefoltert, bis sie gestanden. Nach den darauf folgenden Urteilen wurden dann im Herbst 1543 zunächst ein Mann und eine Frau auf dem Scheiterhaufen verbrannt, im Frühjahr 1544 neun Frauen an einem Tage und wenige Wochen später noch einmal fünf.[8]

Ablaufs eines Hexenprozesses in Leerort

Es gab drei Stufen von Folter:

·       Erstens die gütliche Befragung,

·       zweitens die peinliche Befragung (in der bereits die Folterinstrumente gezeigt wurden)

·       und schließlich die Durchführung der Folter[9].

Über einen solchen Ablauf liegt uns ein Protokoll eines Prozesses in Leerort aus dem Jahr 1593/94  n.Chr. vor. Es wird hier wörtlich der Text von Dirk Faß[10] (siehe Literatur- und Quellenangabe) wiedergegeben:

„Nach Protokollangaben des Drosten Wilken wurde am 17. Oktober Enge Retsema, die Ehefrau des Reepschlägers (Seilmacher) Johann Retsema, von der Ehefrau das Schweinehirten Kobus Muhsam verklagt, eines ihrer Kinder totgezaubert zu haben. Da dies eine schwerwiegende Anschuldigung war und auch andere Frauen als Zeuginnen angaben, den Vorfall beobachtet zu haben, ließ der Drost Wilken die Beschuldigte sofort durch zwei Landreiter festnehmen und in den Turm der Festung Leerort inhaftieren. Weiter berichtet das Protokoll: Die aus Leer stammende Enge Retsema stand im „geheimen Geschrei“, denn sie war der Hexerei bekannt und man sagte ihr ein Bündnis mit dem Teufel nach.

Da die Angeklagte während der gütlichen Befragung unter Tränen und Anrufung Gottes immer wieder ihre Unschuld beteuerte, ließ der Drost den Grafen Edzard II. in Aurich in Kenntnis setzen. Dieser führte in diesem Fall eine Unterredung mit seinem Beichtvater, Prediger Latonius und forderte dessen Rat und Gutachten an. Der Geistliche forderte seine Antwort lange hinaus und gab erst im Mai 1594 sein Gutachten ab. Es lautete: „Obwohl Inquisitin nicht geständig, sondern der Hexerei ganz unschuldig sein will, so ist doch wegen der starken Indicia peinlich zu befragen und sind ihre Aussagen mit Fleiß zu den Akten zu registrieren und diese zu einem Gutachten einzusehen!“ 

Da laut Gutachten genügend Indizien gegen die Anklagte Enge vorlagen, konnte der Drost ohne weiteres zur Folter schreiten. Sie wurde noch einmal in Gegenwart von Schöffen, dem Amtsschreiber Johan Elthen und dem Scharfrichter Bartels vom Drosten befragt, ob sie gestehen wolle. Da sie „verstockt“ blieb, wurde ihr die Anwendung der Folter angekündigt und ihr das Foltergeschirr vorgeführt. Diese Abschreckung brachte dem Drosten nicht das gewünschte Geständnis, denn sie beteuerte immer wieder ihre Unschuld.

Man begann die Folter mit Daumenschrauben, danach wurden der Inqisitin die sog. „Spanischen Stiefel“ angelegt. Während des nächsten Foltergrades spannte man die Unglückliche auf die Folterleiter. Um den Schmerz noch zu vergrößern, schraubte der Scharfrichter Bartels die Spanischen Stiefel noch härter zusammen. Da die Angeklagte noch immer nicht gestehen wollte, flößte man ihr ein ekelhaftes Getränk ein. Auch angesichts solch unermeßlichen Qualen beteuerte Enge immer wieder ihre Unschuld und betete: „Jesu, du mein Sohn Davids, erbarme dich mein  …“

Doch damit nicht genug; der Grausamkeit des Scharfrichters waren keine Grenzen gesetzt. Er folterte das Arme Opfer mit brennendem Schwefel unter dem Gesicht, den Armen, Zehen und ihren Schamteilen. Die grausamen Quälereien überstand Enge Retsema nicht. Sie starb und wurde noch am Abend des 24. Mai 1594 auf einem eilig errichteten Scheiterhaufen in aller Heimlichkeit verbrannt.“

 

Die Vollstreckung des Urteils

Dazu auch hier wieder ein Textauszug aus dem Buch von Dirk Faß[11]:

„Manchmal gesteht die Verhörte, um nicht noch mehr Folterqualen erleiden zu müssen und wird dann in der Regel zum Scheiterhaufen verurteilt.    Sie ist körperlich und seelisch gebrochen und ihr sehnlichster Wunsch ist ein schnelles, schmerzloses Ende. Sie stimmt in allen Punkten zu und der Stab wird über ihr zerbrochen. (Der Scharfrichter) zieht mit ihr und seinen Knechten vor die Stadt. Auf einer Anhöhe ist alles vorbereitet, genügend Reisig wurde angefahren. Sie wird an den Pfahl gebunden und der Reisighaufen wird um sie aufgeschichtet. Viele Schaulustige ergötzen sich an dem Schauspiel, lauschen dem Klagen und Wimmern der Frau, bis es im Knistern der Flammen erlischt.“

 

 

Hexenverbrennung in Norden

   Im Jahre 1551 n.Chr. [12] wurden zu Norden einige „Toverschen“ (Hexen) aufgegriffen, die laut Anzeige zweier Müllersknechte „viele grouwelike Dingen mit den Duiwel bedrewen hadden“. Zwei dieser Frauen wurden am 06.August, nachdem man ein „Bekenntnis“ von ihnen erzwungen hatte, verbrannt.

 

 Hexenverbrennung in Esens 

Am 26. Juli 1568 n.Chr. [13] wurden in Esens Stine Effken „eine apentliche Toversche und Ehebrekersche“ mit ihren Töchtern Anna und Hilke verbrannt, weil sie angeblich die Gräfin Walborch von Rittbergen, die Gemahlin Graf Ennos, vergiftet hatten. Das Geständnis war durch Folter erzwungen. In Wirklichkeit ist die Gräfin laut Bescheinigung verschiedener Ärzte eines natürlichen Todes gestorben.

 

Hexenverbrennung in Leer[14] 

Auch in Leer hat es im Jahr 1590 n.Chr. zwei Hexenverbrennungen gegeben. Dabei soll zumindest eine der beiden Hinrichtungen in Heisfelde/ Bollinghausen stattgefunden haben.

Wessel Onken (1698 - 1772 n.Chr.), ab 1740 n.Chr. reformierter Pastor in Leer, hat uns eine Chronik hinterlassen, in der er sehr detailreich aus seiner Zeit, aber auch aus der Zeit davor, soweit er informiert war, berichtete.

 

In dieser Chronik des Fleckens Leer heißt es zum Jahre 1590 n.Chr.[15]:

„Die in diesem Jahr wieder veranstaltete Jagd auf Hexen und Zauberei, von welcher auch unsere Gegend nicht verschont blieb, zeigt uns ein trauriges Bild menschlicher Verirrung. So wurden in Knyphausenvehne 20, in Wittmund 2, in Aurich 2, hier in Leer 2, in Pewsum 2 und in Norden 3 der Zauberei beschuldigte Personen öffentlich verbrannt (v.Wicht., ann 6, B. 618).

Von den beiden hier verbrannten Hexen soll die eine der Überlieferung nach aus dem Stockhause zu Bollinghausen gewesen sein. Den Scheiterhaufen errichtete man auf den Meedlanden, schräg ihrer Wohnung gegenüber. Noch viele Jahre nachher, sogar noch in meiner Jugend, wurden Ueberbleibsel des Brandpfahles gezeigt.“

 

Wessel Onken wurde 1698 n.Chr.[16] in Leer geboren.. Somit müssen diese Brandreste des Pfahls noch um ca. 1710-1720 n.Chr. gezeigt worden sein.

 

Wer war diese hingerichtete Person?

Wir wissen nicht, wer diese Person aus Bollinghausen war,  sind auch nicht sicher, ob hier ein Mann oder (wahrscheinlich) eine Frau verbrannt wurde.

 

Gerücht wird zur Wahrheit 

Wessel Onken weist darauf hin, dass es sich um eine Überlieferung handelt, für die er wohl keine sicheren Belege hatte.

 

Immerhin war er zeitlich nahe dran.

·       Onken, als Pastor sicherlich gewissenhaft und ehrlich, hätte diese Begebenheit in Bollinghausen nicht aufgenommen, wenn sie ihm suspekt gewesen wäre.

·       Bollinghausen gehörte zu seinem Gemeindebezirk. Und so ein Prozeß verlief nicht ohne Beteiligung der Kirchengemeinde  bzw. eines Amtsvorgängers der reformierten oder der lutherischen Kirche.

·       Und vor „nur“ 150 Jahren war das Schreckliche geschehen. Da wirkt die mündliche Überlieferung noch nach.

·       Immerhin hat Wessel Onken Anfang des 18. Jahrhunderts dort am Ortsrand Heisfeldes ja noch Reste des Brandpfahls gesehen.

·       Er benennt konkret die Örtlichkeit („Stockhaus in Bollinghausen“ / „Meedlande schräg gegenüber ihrer Wohnung“).

 

 Die jetzt erforschten und unten beschriebenen konkreten Einzelheiten dieser Örtlichkeit lassen es wahrscheinlich erscheinen, dass sich dieses grausige Schauspiel tatsächlich so wie beschrieben bei uns abgespielt hat.

 

Was ist ein „Stockhaus“?

·       Bereits 1453 wird auf Leerort von einem „Vanghenstock[17] (Gefangenenhaus) gesprochen. Das heute hier nicht mehr gebräuchliche „Stockhaus“ ist also grundsätzlich ein Gefängnis.

·       Die Strafanstalt Hameln, das „Stockhaus“ genannt, gilt heute als eine der ältesten in Deutschland. 

·       Eine Erklärung führt das Wort „stockfinster“ auf das „Stockhaus“ zurück. In einer Redensart sagt man: „Es ist so finster wie im Stockhaus.“

·       Als einzig erhaltenes Gebäude der Festungsanlage der Stadt Dillenburg steht heute noch das „Stockhaus“, über Jahrhunderte ein Gefängnis. Dort stand im unteren Teil der „Stock“, ein ausgehöhlter großer Holzklotz, in dem die Füße der Deliquenten eingeschlossen wurden.

·       In der Literatur[18] findet man: „Diese Gefängnisse - gut befestigte Türme oder sogenannte Stockhäuser (normale Häuser, in denen ein Holz- oder Steinblock mit einem Ring und einer eisernen Kette zur Befestigung der Gefangenen vorhanden war …)“.

·       Man denkt auch unwillkürlich an Stickhausen („Stockhausen“?), wo es im Turm auch ein entsprechendes Verließ und Folterwerkzeuge gibt.

·       Die Literatur zur Hexenverfolgung spricht des öfteren von „verstockten“ Hexen, die zum Reden gebracht werden müssten. 

                                                               

„De Stock“

eine Foltervorrichtung aus Holz, in dem die Füße eingeschraubt wurden

 

·       Buurman[19] übersetzt dann auch „Stock“ u.a.  mit „Block für Gefangene“: Se spannen hum de Foten in`t Block.

·       Nach Buurman[20], der vom hochdeutschen her den plattdeutschen Begriff erklärt,  bedeutet das Wort „stechen“: „Etwas irgendwo hin tun“ und heißt im Plattdeutschen „steken“ bzw. „stoken“. „ik hebb hör de Ring sülvst an de Finger stoken“, He hett all sein Geld in dit Geschäft stoken“, „he stook sein Hannen in de Taske“, usw. Man könnte somit erweitern: „He wuur in Kaast stoken“  oder „sein Foten wuurn in`t Block stoken“.

·       Auch in einem „Schraubstock“ wird etwas eingespannt.

·       die sechzehnte der gemeinfriesischen Küren[21] aus dem 11. Jahrhundert formuliert den Grundsatz, dass alle Friesen Friedensbruch mit Geld büßen dürfen. Deswegen sollen sie in sächsischen Gebieten befreit sein von Gefängnis und Stauprute, von Züchtigung und Scheren und von allen Leibesstrafen (friesisch: stoc and stupa, skena and besma, hende and bende). Auch in diesem etwas anderen Sachzusammenhang wird „stoc“  mit  Gefängnis übersetzt.

·       In der Bibel heißt es schon:  „… und warf sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Stock[22]“ sowie

·       „Sie zwangen seine Füße in Stock, sein Leib musste in Eisen liegen[23]“.

 

Fazit:

Wenn ein Turm vorhanden war, wurde der Sträfling in den Verließ geworfen. Ansonsten hatte  man bei ebenerdiger Unterbringung das „Stockhaus“ oder den „Vanghenstock“, in welchem der Stock, das Foltergerät, stand. Vereinfachend wurde ein solches Gebäude im Sprachgebrauch insgesamt als „Stock“ oder „de Stok“ genannt.

 

Im Zusammenhang mit der Hexenverfolgung hat man also in einem Stockhaus „verstockte“ Personen eingekerkert. Hier wurden auch die „peinlichen Befragungen“  mit den Folterungen (u.a. eben mittels eines Foltergerätes, „die Stock genannt“),  durchgeführt.

 

Die Lage des Stockhauses

Bei aller Rechtstaatlichkeit, von der die Richter wohl ausgingen, war es ihnen wohl doch nicht recht, wenn die Schreie der Gefolterten nach außen drangen und dort vernommen wurden. Zwar hielten dicke Burgmauern vieles ab. Und wenn es gar zu arg wurde, versuchte man schon einmal, mit Orgelspiel[24] die Schreie der Gemarterten zu übertönen (z.B. im Hexenprozeß in der Burg Pewsum, zur gleichen Zeit).

Ebenerdige Stockhäuser, die nicht Teil einer Burganlage waren,  befanden sich am Ortsrand, zumindest nicht mitten im Ort zwischen der Wohnbebauung. Dabei wird, auch aus Gründen der Praktikabilität, die Folterstätte nicht weit von der Richtstätte entfernt gestanden haben. Diese wurden außerhalb der Stadttore  bzw. außerhalb des Ortes aufgebaut.

 

Das Stockhaus in Bollinghausen

   Bei den Nachforschungen nach dem von Wessel Onken genannten „Stockhaus in Bollinghausen“ wurde der Verfasser im Archiv der Ostfriesischen Landschaftlichen Brandkasse[25] fündig:

1768  n.Chr. sind für ganz Bollinghausen einschließlich Eisinghausen insgesamt 10 Eigentümer mit ihren Gebäuden benannt. Darunter ist auch aufgeführt:

 

„das Arbeits-Haus, die Stock  genannt“.

                                                               

              

Schriftbeispiel von 1778

 

Der Versicherungswert dieses Gebäudes betrug anfangs 220 Reichsthaler und wurde 10 Jahre später auf 250 Reichsthaler angehoben. Im Vergleich mit den Versicherungswerten anderer Gebäude ein verhältnismäßig geringer Betrag. Das Gebäude wird daher nicht allzu groß gewesen sein.

Der Text dieser Brandkataster - Eintragung bleibt so, ohne wesentliche Änderung der Versicherungssumme, bis zum Jahr 1801.

 

1768 n.Chr., bei der o.a. erstmaligen Nennung, wird seltsamerweise kein Eigentümer für „das Arbeits-Haus, die Stock genannt“ aufgeführt. Es gibt in der Aufstellung aus 1768 n.Chr. noch zwei weitere Beispiele, wo kein Name angegeben ist: Das „Kuhhirten-Haus“ im Bereich Heisfelde/Hohegaste und „Das Landhaus“ in Bollinghausen. Möglicherweise waren zumindest das Stockhaus (Gefängnis) wie auch das Kuhhirten-Haus (Hirte für Gemeindeweide) in öffentlichem Besitz.

 

Weitere Erkenntnisse über ein Stockhaus in Bollinghausen brachten die neuerdings vorliegenden Ortssippenbücher von Leer:

·       Zunächst gab es einen Jan Hanssen[26], Arbeiter, der mit seiner Ehefrau Aaltje Adams in Bollinghausen wohnte. Er ist 1730 geboren und 1770 mit 40 Jahren verstorben. Seine Frau verstarb1778,  8 Jahre später, mit 48 Jahren. Sie hatten 7 Kinder, die zwischen 1757 und 1769 geboren wurden. Der Sohn Weert verstarb 1769  n.Chr. und wurde in Leer begraben. Dabei wurde bekannt: Sein Vater (also die Familie) wohne „te haysfelde in de stok. Nun gehörte Bollinghausen kirchenmäßig zu Leer und verwaltungsmäßig zu Heisfelde, so dass bei Wichtung aller bekannt gewordenen Tatsachen, auch der folgenden,  wohl davon auszugehen ist, dass sich „de stok“ in Bollinghausen befand.

 

·       Noch deutlicher wird es bei dem Landgebräucher Jan Daniels,[27] der mit seiner Ehefrau Albertje Alberts in „Bolmhuisen“ wohnte. Ihnen wurde am 30.Juli 1792 n.Chr. das Kind Daniel geboren. Der reformierte Pastor vermerkt dazu: „Dit Kind door my in haar woonhuis, de Stok genaamt, gedoopt …“.

 

·       Am 01.Februar 1794 n.Chr. verstarb ein Sohn von Daniel Caspers[28] und Frau. Der lutherische Pastor vermerkt dazu: „Sohn +, Daniel Caspers een Soon ongdoopt. uit de Stok.“

 

Offensichtlich hat sich der Name „Stockhaus“, in verkürzter Form gebraucht, also auch 200 Jahre nach der Hexenverfolgung noch erhalten. Es ist dann allerdings kein Gefängnis mehr, sondern wird als Wohngebäude genutzt. Vielleicht handelt es sich um 1800 um ein Haus, in dem die Bediensteten des benachbarten „Landhauses“ (Burg) wohnten. Auch wenn es vor langer Zeit aus bestimmten Gründen in öffentlicher Hand war (Gefängnis). Die drei oben genannten Familien wohnten dort zur Miete.

Noch einen Hinweis auf das Stockhaus finden wir in einem Grund- und Hypothekenbuch[29] aus dem 18.Jahrhundert. In einer Besitzbeschreibung für „das freye adeliche Guth Bollinghausen“ heißt  es u.a.: „sodann noch der Stock, Garten und Fischteich.“

 

Ab etwa 1800 ist der bisherige Versicherungswert von 250 durch einen neuen Wert von 1.000 Reichsthaler ersetzt. Außerdem wurde auch eine Scheune mit einem Wert von 800 Reichsthaler hinzugefügt.

Bei dieser Neuinvestion wird das Altgebäude wahrscheinlich abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt worden sein. Das Altgebäude, erinnern wir uns an das Datum der Hexenverbrennung (1598), war schließlich 200 Jahre alt. Die damalige Bauweise und der relativ geringe Versicherungswert lassen auf ein einfaches kleines Haus schließen, dessen Bausubstanz nun abgängig war.

Damit hatte der Nachfolgebesitz des Stockhauses bis etwa 1820 den höchsten Versicherungswert (1800 Rthlr.) in Bollinghausen (Vergleich: Landhaus „Burg“ der Familie von Rehden insgesamt 1820 ca. 600 Rthlr.).

 

Das Anwesen war inzwischen in das Eigentum des Freiherrn von Rheden übergegangen (wie übrigens auch das sog. Kuhhirten-Haus und das sog. Landhaus). Anschließend übernahm Hauptmännin von Suckow geb. von Rehden in Erbfolge das Anwesen. 1844 erfolgte eine Wertanpassung nach unten. Während der Wert der Scheune mit 800 Reichsthaler auf dem bisherigen Stand verblieb, wurde der Wert des Wohnhaus  jetzt von 1.000 auf 400 Reichsthaler reduziert.

Es gab zwischenzeitlich Neueinschätzungen, die zu geringen Wertanpassungen führten. Als Oberleutnant von Suckow den Besitz erbte, waren das Wohnhaus mit 800 und die Scheune mit 600 Reichsthaler versichert.

1875 erfolgte eine Währungsumstellung von Reichsthaler auf Mark („een Daaler is dree Mark“), der rein rechnerisch die Summen auf 1800 Mark (Wohnhaus) und 1.200 Mark (Scheune) veränderte.

Etwa im Jahr 1875/76 wurden die Gebäude abgebrochen. Die Spuren des ehemaligen „Stockhauses von Bollinghausen“ verloren sich.

 

Die Meedlande

Wo genau mag der Hinrichtungsplatz inBollinghausen gewesen sein? 

Wessel Onken schreibt: „Den Scheiterhaufen errichtete man auf den Meedlanden, schräg ihrer Wohnung gegenüber.“

   Als Meedlande kommen nur Graslandflächen an der Hammrichseite Bollinghausens infrage. So weisen denn auch alte Flurkarten[30] den Flurnamen „Meedlandsfenne“ im Hammrich, etwa in der Mitte zwischen dem Bollinghauser Gehölz und dem heutigen Alten Weg, oberhalb des Heisfelder Sieltiefs, schräg gegenüber der damaligen Bebauung Bollinghausens,  aus.

                                                               

 

Der Richtplatz in den Meedlanden

Auffällig sind in dieser nassen, tiefen Hammrichzone einige Sanddurchdringungen, in der Flurkartensammlung von Schumacher mit „1. Höchte“,  „Die Höhe“ und  „2.Höchte“  dokumentiert. Sie liegen etwa 0,8 bis 1,00 m über dem sie umgebenden Hammrich. Weitere sind in der Nachbarschaft vorhanden.

                                                                     

 

Vermutung:

Besonders bei der 1.Höchte, Bollinghausen schräg gegenüber in den Meedlanden, deuten kleine gleichmäßige ringförmige Höhenlinien auf eine künstlich bearbeitete kleine Höhenplattform hin. Es ist anzunehmen, dass sich hier auf dieser kleinen Anhöhe der Richtplatz befand.

   Da dieser Platz metergenau feststeht, wäre durch eine punktgenaue Grabung leicht zu überprüfen, ob hier Brandspuren im Boden erhalten sind, die den Beleg für eine Hexenverbrennung in Bollinghausen bringen würden.

 

Wenn sich, wie Wessel Onken berichtet, der Scheiterhaufen in den Meedlanden befand:

·       Dann hat man für den Standort des Scheiterhaufens dort sicherlich nicht die hier tief liegenden Hammrichflächen, sondern einen leicht erhöhten trockenen Platz gewählt.

·       Hinzu kommt, dass man diesen „Höhenzug“ über den Conrebbersweg (heute: Alter Weg), über den heutigen Evertskamp, die Weg nördlich der heutigen Seniorenanlage, die Fuchshöhlen-Allee und den Burweg gut erreichen konnte.

 

Es gäbe allerdings noch eine andere Alternative:

Unterhalb des Grundstücks des Landhauses (Burg) Bollinghausen führt auch heute noch ein erhöhter Weg auf einem Damm in den niedrigen Hammrich und endet dort auf einem Hügel. Der Weg wird in der Flurkarte mit „Fuchshöhlen-Allee“ bezeichnet. Der Hügel hieß im Volksmund, sicherlich in Anlehnung an die Dienstgrade der Bewohner von Suchow (Hauptmann, Hauptmannin, Oberleutnant, Rittmeister) „der Feldherrenhügel“. Man hatte, als die Bebauung noch nicht so herangerückt war, von hier aus einen weiten Blick über die Hammrichflächen. Da wegen der Höhenlage an der Kopfseite beim Hügel die tief liegenden Weiden nicht angeschlossen werden konnten, war der Damm sicherlich nur eingeschränkt für die Landwirtschaft nutzbar. Er war wohl von der Anlage her als Flanierweg und Aussichtspunkt gedacht. Eine solche Nutzung bietet sich auch an, da der Weg ja aus dem bei der Burg angelegten Park heraus in die Landschaft führte.

Auch hier wäre natürlich auf dem Hügel am Ende des Damms der Richtplatz denkbar.

 

Eine weitere Alternative, die in der Nähe vorhandene Erdanlage „Söbenbargen  als Richtplatz anzusehen, erscheint nicht logisch. Der Scheiterhaufen soll nach Onken in den Meedlanden, schräg gegenüber von dem Stockhaus in Bollinghausen, gebrannt haben. Diese Ortsbeschreibung trifft auf „Söbenbargen“ aber nicht zu.

* * *

Heute gibt es keinen Hinweis mehr zu dem „Arbeits-Haus“, das „die Stock“ genannt wurde und aus dem ein eingekerkerter Mitbürger kam, dessen Leben im Namen des Rechts auf so grausame Art und Weise auf dem Scheiterhaufen im Hammrich vor Bollinghausen endete.

 

Berend Schröder, Leer-Heisfelde

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Literatur- und Quellennachweis siehe letzte Seite

 

 

 

 

 



Literatur- und Quellennachweis:

 

[1] Bei der Bearbeitung dieses Artikels kamen mir Zweifel, ob man die teils grausamen Beschreibungen in der Chronik mit veröffentlichen sollte. Aber die Recherchen hatten ergeben, dass  auch im Bereich Heisfelde - Bollinghausen diese Dinge passiert waren. Und dann ist es wohl Chronistenpflicht, auch unangenehme Begebenheiten aufzuzeigen.

Um die Dinge richtig einordnen zu können, werden dem eigentlichen Geschehen in Bollinghausen einige einführende Erläuterungen, so schrecklich sie auch sind, vorangestellt. Verf.

[2] Tabel, Hans-Jürgen u.a.: Achter Kolle Müren- Beiträge zur Hexenverfolgung, August 2002

[3] Wie Nr. 1

[4] Ostfreesland - Kalender, Norden 1926, Seite 33 - 38

[5] Wie Nr. 1

[6] H. Dr. : Geschichten um Eggerik Beninga. In Der Deichwart Nr. 138 vom 16.10.1962

[7] Aits, August Anton: Eggerik Beninga als Hexenrichter. In Unser Ostfriesland, Nr. 7 vom 03.04.1969

[8] Faß, Dirk: Von Hexen und Hexenprozessen zwischen Weser und Ems. Isensee Verlag Oldenburg 2003

[9] Freist, Dagmar: „Allein der Verdacht konnte Folter rechtfertigen“, veröffentlicht in der Ostfriesen-Zeitung vom 17.12.2005

[10] Wie Nr. 8

[11] Wie Nr. 8

[12] Wie Nr. 8r

[13] Wie Nr. 8

[14] Onken, Wessel: Chronik des Fleckens Leer (Abschrift von Blankmann Seite 295)

[15] Mittteilung von Pastor i.R. R. Siefkes-Leer in: Blättrer des Vereins für Heimatschutz und Heimatgeschichte e.V. Leer / Ostfriesland. Band III, Nr.4 Jahreswende 1937/38

[16] siehe Ref. Predigerdenkmal S. 142

[17] Reimers, H., Dr.: Leerort. In Festschrift zum hundertjährigen Jubiläum der Stadt Leer, Seite 233. Verlag Zopf und Sohn GmbH, Leer 1923

[18] Bayer, Ingeborg: Der Teufelskreis, Würzburg: Arena 1968

[19] Buurman, Otto: Hochdeutsch - plattdeutsches Wörterbuch, Wachholz-Verlag Münster, 1971

[20] Wie vor

[21] Zitiert von Schubert, Ernst: Vom Wergeld zur Strafe: usf.

Erschienen in: Schmidt/ Schwarz / Tielke:Tota Frisia in Teilansichten, Aurich 2005

[22] Luther, Martin: Die Bibel. Apostelgeschichte Kap.16, Vers 24

[23] Luther, Martin: Die Bibel. Psalm 105, Vers 18

[24] Tabel u.a.: Achter kolle Müren. Seite 41. August 2002

[25] Archivalien der Ostfriesischen Landschaftlichen Brandkasse in Aurich. 1768 = Älteste Eintragung für Bollinghausen.

[26] Wegner, Manfred: Die Familien der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Leer (OSB Leer ref.) Nr. 6261 und

Hesse, Arnold: Die Familien der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Leer (OSB Leer luth.) Nr. 5829

[27] Wegner, Manfred: Die Familien der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Leer (OSB Leer ref.)  Nr. 3259

[28] Wegner, Manfred: Die Familien der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Leer (OSB Leer ref.)  Nr. 2763

[29] Lange, Wilhelm: OSB Nüttermoor, Teil 2, Seite597

[30] Flurnamensammlung Schumacher, in der Landschaftsbibliothek in Aurich