Man nannte Johann Hugen, der am Moorweg Nr. 31 ein Fuhrgeschäft betrieb, den „Askekönig von Heisfelde“. Denn er hatte so um 1950 herum die Müllabfuhr in Heisfelde von August Honsel übernommen.
Haus der Familie Wübbens - Hugen[1] am Moorweg
Honsel hatte vorher den Müll mit einem von Pferden gezogenen Kastenwagen eingesammelt. Mancher Heisfelder Junge erinnert sich noch daran, wenn er mit auf dem Bock sitzen durfte, auch mal ein wenig „lenken“ konnte.
August Honsel und Frau Roolfke Berends sind den Altheisfeldern aber noch aus einem anderen Anlaß in Erinnerung. Diese beiden tourten damals mit einem „Tempo“- Dreirad über die Märkte von Ostfriesland. Er als Entfesselungskünstler und starker August, der Ketten zerriss und Hufeisen geradebog, sie als seine Assistentin und als Wahrsagerin. Beide wohnten in zwei Eisenbahn- oder Zirkuswagen am Diekelweg. Roolfke Behrends war am heutigen Liebigweg auch als Bahnwärterin im Einsatz, „dreihte de Schranken“.
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Wie war in und vor dieser Zeit die Abfallentsorgung in Heisfelde geregelt?
Grundsätzlich hatte vor dieser Zeit jeder Haushalt seinen Abfall selbst zu entsorgen. Was in der Landwirtschaft mit Gülleentsorgung und Misthaufen seit eh und je praktiziert wurde, galt im kleinen auch für den Privathaushalt.
Die Haushalte hatten noch oft ein „Plumsklosett“. Insbesondere in den in der Vorkriegszeit errichteten Wohnhäusern war meistens im Hinterhaus ein kleiner Raum dafür abgeteilt, mit einer aufgemauerten Sitzbank, mit Holzabdeckung und rundem Deckel: Der Abtritt oder das Klo. Die Verdauungsreste der Bewohner gelangten von hier über eine schräge abgeputzte Rutsche durch die Außenmauer hindurch in eine „Jierbakke“, einem einige Kubikmeter großen Jauchekeller. Dieser befand sich unterirdisch hinter dem Wohnhaus und war mit einem klappbaren Holzdeckel geschlossen. Von Zeit zu Zeit, wenn der Jauchekeller sich gefüllt hatte, musste er entleert werden. Mit einem „Jierskepper“ - eine Art überdimensionierter Suppenkelle (an einem Stiel war ein Behälter in Eimerform befestigt) - wurde dann die Abortgrube entleert, die duftende Brühe mit Eimern in den Garten getragen und über die leeren abgeernteten Felder verteilt.
Da viele einen „Acker“ hatten - d.h. ein Teil des Grundstücks wurde als Kartoffel- und Gemüsegarten genutzt - gab es meistens noch einen „Misthaufen“, auf dem die Garten- und auch die häuslichen Küchenabfälle kompostiert wurden.
Im Herbst qualmten die Gartenfeuer, um Kartoffelranken und Strauch- und Baumabschnitte zu verbrennen. Im Frühjahr war das Osterfeuer ein willkommener Anlaß, brennbare Abfälle zu beseitigen.
Problemvoller war die Entsorgung der Asche des Hausbrandes. Denn die meisten Haushalte besaßen nur eine Ofenheizung, also Einzelöfen für jeden zu beheizenden Raum. Noch bis in die 50er Jahre hinein wurden Eigenheime durchweg mit zwei Schornsteinen geplant, damit alle Zimmer einen Ofenanschluß nutzen konnten. Erst allmählich setzte sich später die Zentralheizung, zunächst mit Koksbefeuerung, durch. Dann folgten Heizöl und später Gas als Energiequellen.
Für die Aufnahme der täglich anfallenden Asche des Hausbrandes gab es anfangs noch keine Mülleimer. Man stellte dafür ein oder zwei große Behälter, meistens ausgediente Zinkblechkessel, die vorher zum Einkochen der Weckgläser und für die Kochwäsche gedient hatten, hinter das Haus.
Im Winter benutzte man die gesammelte Asche gerne zum Streuen bei Eis- und Schneeglätte. Aber der Bedarf dafür war noch gering, denn es gab außerhalb der Heisfelder Straße, der Dorfstraße und teilweise dem Logaer Weg kaum gepflasterte Straßen oder gar Bürgersteige, die im Winter gestreut werden mussten.
Wenn die Behälter sich also gefüllt hatten, war es die Aufgabe von uns Kindern, diese mit einem „Kreitwagen“ zum Müllplatz zu befördern und dort zu entleeren. Diese Plätze waren von der Gemeinde etwas abseits der Siedlungen an verschiedenen Stellen angelegt worden, um die Ascheentsorgung zu ermöglichen. So gab es für uns einen Platz am Bahndamm (etwa gegenüber dem heutigen Feuerwehrgerätehaus). Oder hinter der heutigen Holbeinstraße/ Dürerstraße, parallel zur Eisenbahntrasse. Eine zentrale Großlagerstätte befand sich an der Ringstraße, etwa im Bereich der Firmen „Reifendienst“, „Ruma“ und „multi Nord“.
Allerdings waren diese Plätze nicht nur für die Ablagerung des Hausbrandabfalls bestimmt, sondern auch für Kleinmüll anderer Art. Sperrmüll (größere Teile) fiel noch nicht so sehr an. Denn man gehörte noch nicht zur Wegwerfgesellschaft. Alles wurde möglichst lange aufgehoben oder schon mal repariert und wieder verwendet.
Doch hin und wieder anzutreffende ausgediente Fahrradrahmen, Autoreifen, Glas- und Porzellanteile und vieles mehr machten den „Askeplatz“ für uns Kinder hochinteressant. Uns Jungen interessierten dabei mehr die technischen Nachlässe, während die Mädchen mit möglichst noch nutzbaren Glasschälchen oder Porzellanteilchen - möglichst mit Goldrand oder Blumendekor - glücklich waren. Und da die Müllplätze nicht so im Blickpunkt des Verkehrs und der Einwohner lagen, brannte dort immer mal wieder kleines Feuerchen, ein Lagerfeuer, bei der ein kaputter Stuhl das Brennmaterial lieferte.
Beim Askekolk am Bahndamm wurde auch sonst wohl gezündelt. Die Böschungen des Gleiskörpers, die unmittelbar am Müllplatz angrenzten, waren mit Gras bewachsen, die im heißen Sommer austrockneten. Wenn dann die Eisenbahnzüge mit ihren kohlebefeuerten Lokomotiven vorbeidampften, stoben schon einmal Funken ins Gras und in kurzer Zeit brannte ein Böschungsbereich ab. Da wurde natürlich gerne „geluntjet“, d.h. das zunächst glimmende Feuer entfacht und mittels kleiner trockener Grasbündeln gezielt weitergeleitet. Auch war es ein beliebter Zeitvertreib, ein Pfennigstück (so man denn eins hatte) auf die Schienen zu legen und nach der Vorbeifahrt die plattgewalzte Form zu bewundern.
Das war allerdings alles nicht so gerne gesehen und wir mussten höllisch aufpassen, dass der „Wachtmeister“, der an der Dorfstraße wohnte, uns nicht erwischte.
Ansonsten fanden wir hier auch wohl einmal Kupferdrähte, Alteisenteile usw., die als Rückfuhre von uns mitgenommen und dann beim Altmaterialienhändler Graalmann gegen „Bares“ eingetauscht wurden.
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Aber dann wurde alles anders. Johann Hugen, der seinen Betrieb bescheiden „Fuhrmann Hugen“ nannte, begann nach der Übernahme von Honsel neben seiner Landwirtschaft am Moorweg „jenseits der Bahn“, zunächst mit dem Pferdewagen und dann schon bald mit einem Einachs-Schlepper, Marke „Fahr“, die regelmäßige Müllabfuhr. Bald folgte ein „Deutz“ mit Einachsen-Anhänger und erhöhten Bracken (Seitenwänden), um den Anfall bewältigen zu können.
Nun war Umweltschutz damals noch kein Thema. Aber da der Hänger nach oben noch offen war, staubte es immer gewaltig. Ich sehe Johann Hugen noch vor mir: Alles grau in grau, mit grauem Overal, grauem Gesicht und grauer Mütze, bediente er den grauen Wagen.
Das ließ ihm dann wohl keine Ruhe. Johann Hugen erfand die „staubfreie Müllabfuhr“ in Heisfelde.
Nachdem er zunächst mit einer an einem Rahmengestell befestigten Planenverkleidung experimentiert hatte, wurde 1956 ein kleiner „Borgward“-LKW (LER-C 651) angeschafft, der oben geschlossen war.
Damit war die Staubentwicklung schon wesentlich reduziert.
1959 gab es noch einmal ein Fahrzeug gleicher Art (LER-U 324).
Um 1962 herum wurde ein „Ford“-Kastenwagen für die Müllabfuhr eingesetzt.
Viele Fuhren wurden, wie Honsel das auch gehandhabt hatte, zur Ringstraße gebracht. Aber oft hatte Johann Hugen auch private Kunden, die die Asche (denn das war es überwiegend) als Füllmaterial nutzen wollten. So sind viele Torfkuhlen östlich und nordöstlich von Heisfelde mit diesem Hausmüll verfüllt worden. - Man möchte zu gerne die verdutzten Gesichter der Archäologen späterer Jahrhunderte sehen, wenn hier mitten im Moor plötzlich geheimnisvolle Scherben gefunden werden!
Die Gemeinde hatte nicht zwingend vorgeschrieben, die Müllabfuhrmöglichkeit zu nutzen. So war Fuhrmann Hugen froh über jeden Neukunden. Es wurde auch nicht gemeckert, wenn mehrere „Mülleimer“, etwas Kleinmüll oder auch schon einmal großformatigere Sperrmüllsachen an der Straße standen. Dann wurde eben eine Fuhre mehr eingelegt. Denn für 1,00 DM Monatsbeitrag pro Haushalt bei wöchentlicher Abfuhr konnte der Kunde auch eine entsprechende Gegenleistung verlangen. Der Sohn Johann Hugen jun. kassierte Haus bei Haus die Beträge ein. Das Geld war knapp, und mancher Kunde war schon einmal bis zu vier Monate in Verzug.
Da es keine Einheitsmülltonnen gab, kam es vor, dass der durchgerostete Boden des beliebten ausrangierten Einkochkessels beim Hochheben herausbrach und der Müll auf der Straße landete. Dann nahm Johann Hugen Besen und Schaufel, kehrte alles auf und warf es auf den Müllwagen. Man kann es schon verstehen, wenn er dann vor sich hingrummelte: „Nu mutt ich ok noch anner Lüü’s Schiet upfegen!“
Neben der Hausmüllabfuhr gab es auch Sonderaufgaben. Als verschiedene Behelfsbauten abgebrochen wurden, übernahm Hugen die Abfuhr des Bauschutts. Wenn der Moorweg wieder einmal „grundlos“ war, wurde hier der Bauschutt als Packlage eingebaut, die Steinstücke nach unten und der kleingeschlagene Dachziegelbruch oben drauf. Darüber kam dann von der Gemeinde noch wohl mal etwas „Zinner“, Abfallgruß vom Gaswerk aus Leer.
Erfindungsreich, wie er nun eben war, konstruierte Fuhrmann Hugen in der Folgezeit weitere Verbesserungen an seinem Fahrzeug. Um eine Mehrfachnutzung zu ermöglichen, entwickelte er Wechselaufbauten. So transportierte er denn auch Schlachtvieh für Metzgermeister Hubert Perl und für andere, Möbel bei Umzügen und alles, was sich eben so verfrachten ließ.
Zum Abschluß der Tour und nach getaner Arbeit kehrte Hugen, öfter auch mit seinem ihm helfenden Sohn Johann Hugen jun., dann bei Barkei ein, um mit einem Schluck Bier den Staub herunterzuspülen.
Das Foto zeigt - von links nach rechts -:
Johann Barkei, Kellner, Johann Feldmann, Gebhard Vogelsang,
Jan Neehuis, Johann Hugen sen., Johann Hugen jun.
Heute kommt regelmäßig jede Woche die Müllabfuhr und holt die Müllsäcke ab. Schön sortiert und absolut staubfrei. Asche aus Herdbrand gibt es nicht mehr. Und wenn dann einige Möbelstücke, die man heute ja nicht mehr verheizen kann, oder sonst ein sperriges Teil entsorgt werden müssen, meldet man sie für eine Sperrgutabfuhr an. Zunehmend stehen dann auch technische Altgeräte, von der ausgebauten Badewanne über die defekte Waschmaschine bis zum ausgedienten Fernseher und dem nicht mehr zeitgemäßem Computer an der Straße. Im Frühjahr und im Herbst wird eine Strauchabfuhr angeboten. Denn Osterfeuer dürfen nicht mehr sein. Und nach Weihnachten holt man sogar den ausgedienten Weihnachtsbaum ab. Alles ist praktisch und gut durchorganisiert.
Wenn das Johann Hugen noch einmal sehen könnte. Er würde sicherlich ein wenig stolz sein, denn den Grundstein für diese Dienstleistungen hat schließlich er geliefert.
Berend Schröder, Leer- Heisfelde
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